Sprachdiffusion

Sprachdiffusion

Sprachen werden von vielen Menschen als ein wichtiger Teil der Kultur angesehen. Doch viele der heute verwendeten Sprachen unterliegen durch die immer größer werdende Vernetzung in der Welt einem Wandelsprozess. So schätzt die UNESCO, dass 90 Prozent der heutigen Sprachen am Ende des 21. Jahrhunderts durch wenige dominante Sprachen ersetzt sein werden. Diese Veränderung, bei der Menschen einer Sprache zugunsten einer anderen (teilweise) aufgeben, wird Sprachwechsel (engl. language shift) genannt.

Um herauszufinden, warum es zu Sprachwechsel kommt und manche Sprachen immer weniger verwendet werden, muss man aber zuallererst die Dynamik verstehen, die dem Sprachwechsel zu Grunde liegt. Den Sprachwechsel können wir in Anlehnung an die Physik als einen Diffusionsprozess ansehen – als Ausbreitung der dominanten Sprache auf Kosten der Minderheitssprache. Doch was sind die treibenden Faktoren für die Diffusion? Weshalb geben Menschen ihre Sprache zugunsten einer anderen auf?

Um diese Fragen zu beantworten, kombinieren wir mathematische Modellierung mit detaillierten empirischen Daten über die Sprachverwendung. Dazu bedienen wir uns der aus der Physik stammenden Diffusionstheorie. Wir verwenden ein einfaches Modell, um die Dynamik des Sprachwechsels auf mikroskopischer Ebene zu beschreiben. „Mikroskopisch“ bedeutet hier auf der Ebene der kleinsten verfügbaren räumlichen Einheiten: Wir nehmen Weiler, Dörfer, Städte als Ausgangspunkt. Unsere Simulationen zeigen, dass die Interaktion mit anderen Sprecherinnen und Sprechern ein wesentlicher Antrieb für den Spracherhalt oder Sprachwechsel ist. Die Zahl der Sprecherinnen und Sprecher einer Sprache in den Orten selbst und in ihrer Nachbarschaft ist daher die wichtigste Einflussgröße für die Sprachdynamik.

Unser „Labor“ ist Südkärnten – eine Region, die ein außerordentlich gut dokumentiertes sprachliches System darstellt, in dem zwei Sprachen auf ein und demselben Raum einander wechselseitig beeinflussen. Kärnten war bis 1918 ein Kronland der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und später ein Bundesland der Bundesrepublik Österreich. In Südkärnten sprach und spricht die Bevölkerung teils deutsch, teils slowenisch, wobei die Sprachgebiete verschränkt sind. Seit 1880 aber findet Sprachwechsel statt: die Zahl der Slowenisch-Sprecherinnen und -Sprecher in Kärnten hat drastisch abgenommen.

An Hand der untenstehenden interaktiven Landkarten kann man nachvollziehen, wie die Zahl der Slowenisch-Sprecherinnen und -Sprecher über Zeit und Raum zurückgegangen ist. Die Karten zeigen die Perioden von 1880 bis 1910, also bis 8 Jahre vor dem endgültigen Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, und eine rezente Periode von 1971 bis 2001. Die Ergebnisse unserer Simulationen können mit den Daten der Bevölkerungszählungen verglichen werden, soweit letztere verfügbar sind.

Die Zeiten zwischen den beiden Perioden sind hier nicht behandelt, da durch politische Ereignisse (z.B. die beiden Weltkriege) keine kontinuierliche Betrachtung möglich ist.

Publikationen des Projekts:


> Hintergrundinformation zur Erforschung von Sprachdiffusion & Sprachwechsel in Kärnten

> Literatur

Österreich-Ungarn: 1880–1910

 

Österreich: 1971–2001

Detaillierte Volkszählungsdaten können aus Datenschutzgründen nicht auf der Karte gezeigt werden.

Dank

Wir danken Alois Gehart und Wolfgang Zöllner von der Bibliothek der Statistik Austria für die Zurverfügungstellung von Volkszählungsdaten.

Katharina Prochazka ist durch ein uni:docs-Stipendium der Universität Wien gefördert.

Feedback & Kommentare

Wir freuen uns über Rückmeldungen und Kommentare zu unserer Arbeit.

Schicken Sie uns ein E-Mail: Katharina Prochazka und Gero Vogl.