Diffusion in Gläsern untersucht mittels Röntgenkorrelations-spektroskopie

Diffusion in Gläsern untersucht mittels Röntgenkorrelations-spektroskopie

FWF ProjektnummerP28232-N36
Projektleiterao. Univ. Prof. Dr. Bogdan Sepiol
Laufzeit1.1.2016–31.05.2020

Zusammenfassung

Glas wird seit mehreren Tausend Jahren in unterschiedlicher Form verarbeitet. Es hat einen sehr großen Anwendungsbereich, von Schmuck über Alltagsgegenstände und dem Einsatz unter extremen Belastungen bis hin zur Verwendung für die Energiespeicherung. In letzter Zeit wurden beachtliche Fortschritte im Bereich von Festoxidbrennstoffzellen, Batterien und Superkondensatoren, von elektrochemischen Sensoren und von funktionalen Polymeren erzielt. Einige grundlegende Konzepte, wie der Transport von Ionen in ungeordneten Materialien, sind jedoch immer noch kaum verstanden. Die Eigenschaften eines Glases werden von den Atomen bestimmt, aus denen es zusammengesetzt ist. Diese Atome sind in ständiger Bewegung in Form von Diffusion. Ziel dieses Forschungsprojekts ist es, die Diffusion im Glas auf atomarer Ebene zu untersuchen. Die so gewonnenen Erkenntnisse können zur Verbesserung von Eigenschaften wie Stabilität und Leitfähigkeit, aber auch zur Weiterentwicklung von Herstellungsprozessen dienen. Wichtig ist es dabei, Glas in dem Zustand zu untersuchen, den es bei seiner Anwendung hat. Meist wird Glas in fester Form verwendet. Es muss daher bei Temperaturen weit unterhalb seines Schmelzpunktes analysiert werden. 

Mit den üblichen experimentellen Methoden zur Untersuchung atomarer Sprünge ist dies nicht möglich. Dies liegt daran, dass sich die Atome im Glas bei niedrigen Temperaturen sehr langsam bewegen, sodass dies von herkömmlichen Techniken nicht aufgelöst werden kann. Hier kommt Röntgen-Photonen-Korrelationsspektroskopie (XPCS) ins Spiel. Diese Methode verfolgt einen neuen Ansatz, bei dem zeitliche Änderungen in den Streubildern miteinander verglichen (korreliert) werden, wodurch Rückschluss auf die Bewegung der Streuer (Atome) möglich ist. Um dies zu bewerkstelligen wird Röntgenstrahlung mit den Eigenschaften von Laserlicht benötigt. Die einzigen Strahlungsquellen, die Röntgenlicht mit ausreichender Qualität liefern, sind Synchrotrons. Erst im letzten Jahrzehnt war die Brillanz, das Maß für die Qualität der Strahlung, hoch genug, um diese neue Methode auf atomare Ebene weiterzuentwickeln. Es war im Zuge eines vorangegangenen Projektes möglich, zu zeigen, dass damit atomare Diffusion in kristallinen Materialien untersucht werden kann. In diesem Projekt wollen wir mit dieser Technik nun amorphe Materialien untersuchen. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher theoretischer Ansätze und Modelle um Diffusion in Gläsern zu erklären. Allerdings gibt kein einfaches, generell akzeptiertes Transportmodell in der Literatur.  Röntgen-Photonen-Korrelationsspektroskopie (XPCS) macht es möglich, Modelle für atomaren Transport direkt mit experimentellen Befunden zu vergleichen. Dadurch wird es möglich, quantitative Aussagen über die Qualität verschiedener Modelle zu treffen und damit ein besseres Verständnis der atomaren Bewegung in Gläsern zu gewinnen.

Ergebnisse

Beam-induced dynamics in oxide glasses

Die Korrelationsrate Γ, welche proportional zur Diffusion ist, zeigt einen linearen Verlauf in Bezug auf die Dosisrate S. Der strahl-induzierte Effekt wird durch die steigende Konzentration der Ionen innerhalb eines Alkaliboratsystems abgeschwächt.

In Vorgängerstudien wurde gezeigt, dass verschiedene Materialien unterschiedlich auf den Fluss des Röntgenstrahls reagieren [1][2]. Während metallische Bindungen keine Abhängigkeiten aufweisen, zeigen Oxidgläser einen linearen Anstieg der strahl-induzierten Dynamik in Bezug auf die Dosisrate (Fluss pro Sekunde und Atom). Die Untersuchung diverser Alkaliboratgläser mit unterschiedlichen Alkali-Konzentrationen hat ergeben, dass sich der strahl-induzierte Effekt bei steigender Alkalikonzentration geringer auswirkt. Dies geht einher mit der gemessenen Glasübergangstemperatur Tg, diese die Rigidität der Bindungen widerspiegelt. Steigt Tg und somit auch die Alkali-Konzentration, so sinkt die strahl-induzierte Dynamik des jeweiligen Alkaliboratsystems.

Darüber hinaus konnte durch Messungen der strahl-induzierten Dynamik über ein weites Spektrum des Wellenvektor-Transfers q ein Diffusionsmodell erstellt werden. So wird vermutet, dass die induzierte atomare Bewegung einer wechselwirkenden Brownschen Bewegung gleicht: unter Berücksichtigung des De-Gennes Effekts wird in infinitesimalen kleinen Schritten in einer gewissen Zeit τ die Distanz ~1/q überwunden.

Innerhalb des beleuchteten Probevolumens entsteht also eine stationäre atomare Diffusion. 

Es sei vermerkt, dass der strahl-induzierte Effekt eine vernachlässigbare geringe Auswirkung auf die Struktur des Materials hat. Fazit, der Effekt könnte indirekt als Messung material-spezifischer Eigenschaften, wie zum Beispiel Bindungseigenschaften, dienen.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden publiziert in: K. Holzweber, C. Tietz, T.M. Fritz, B. Sepiol and M. Leitner: Beam-induced atomic motion in alkali borate glasses. Phys. Rev. B 100 (2019), 214305, DOI: 10.1103/PhysRevB.100.214305.  

[1] B. Ruta, F. Zontone, Y. Chushkin, G. Baldi, G. Pintori, G. Monaco, B. Ruffle, and W. Kob, Sci. Rep. 7, 3962 (2017). 

[2] M. Leitner, M. Stana, M. Ross, and B. Sepiol, “Acceleration of atomic dynamics due to localized energy depositions under Xray irradiation,” (2015), arXiv:1510.01918 [cond-mat.mtrl-sci].

Diffusion in einem amorphen, schnellen Ionenleiter

Ladungsträgerdiffusionskoeffizienten aus dieser Arbeit (blaue Kreise) und aus Arbeit [1] (grüne ausgefüllte Punkte) mit Extrapolation (grüne Linie), aXPCS Diffusionskoeffizienten für vollen Fluss (dunkelrote Quadrate) und mit auf ein Viertel abgeschwächten Fluss (hellrote Quadrate), sowie die aus Viskositätsdaten in Arbeit [2] berechneten Diffusionskoeffizienten mit Extrapolation bis etwa 700K [2] (braune Linie). Die vertikale gestrichelte Linie markiert die Glasübergangstemperatur.

Die allgemeine Machbarkeit von aXPCS-Studien in einem ternären, amorphen Material wurde im Rahmen des Vorgängerprojektes (P22402-N20) gezeigt. Auf diese Arbeiten aufbauend wurden die Studien an Gläsern auf den technologisch bedeutsamen Fall der amorphen, schnellen Ionenleiter in dem Modellsystem der Alkaliboratgläser ausgedehnt. Die Präsenz strahlinduzierter Dynamik erhöhte allgemein die Komplexität der Untersuchungen an diesem System. Diese Problematik wurde durch einen neuen Ansatz gelöst. Durch die kombinierte Anwendung von Impedanzspektroskopie (IS) und Röntgenphotonenkorrelationsspektroskopie (aXPCS) kann die Dynamik auf zwei verschiedenen Längenskalen im selben Material untersucht werden. In dem untersuchten System ist die elektrische Leitfähigkeit hauptsächlich ionischer Natur, womit mittels Impedanzspektroskopie ein zweiter Zugang zur atomaren Diffusion vorhanden war.

Temperaturabhängige, durch aXPCS- und IS-Experimente bestimmte Diffusionskoeffizienten, als auch aus der Viskosität bestimmten Diffusionskoeffizienten ergaben ein umfangreiches Bild der diffusiven Prozesse in der Probe und zeigten insbesondere die Präsenz von Prozessen auf verschiedenen Zeitskalen auf. Im Rahmen der Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die durch aXPCS gemessene Diffusion dem Prozess der Umbildung der Netzwerkmatrix unter Einbindung aller drei Atomsorten (Rb, B, O) und damit sensitiv auf den gleichen Prozess ist, der die Viskosität des Materials bestimmt. Durch den Effekt der strahlinduzierten Dynamik ist die von aXPCS gemessene Diffusion schneller als die Diffusion im ungestörten Material, welche bei höheren Temperaturen konvergieren. Im Gegensatz dazu misst die Impedanzspektroskopie die schnellere Ionendynamik, die, wie gezeigt wurde, der Bewegung von Rubidiumionen auf einer dreidimensionalen Anordnung von stabilen, und für die Rubidiumionen spezifischen, Positionen über einen Leerstellenmechanismus stattfindet. Diese Positionen sind überwiegend besetzt und quasi-stationär auf der Zeitskala der ionischen Diffusion, welche deshalb quasi unabhängig von den Umbauten der Netzwerkmatrix stattfinden.

Die Impedanzmessungen wurden vom Masterstudenten T.M. Fritz durchgeführt, und die aXPCS Messungen wurden wie bisher an den kohärenten Beamlines am DESY und am ESRF durchgeführt.

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden publiziert in:  C. Tietz, T. M. Fritz, K. Holzweber, M. Legenstein, B. Sepiol, and M. Leitner: Diffusive dynamics in an amorphous superionic conductor. Phys. Rev. Research 2 (2020), 043141, DOI: 10.1103/PhysRevResearch.2.043141. und die in dieser Arbeit verwendeten Daten wurden in einer Forschungsdatenbank frei zur Verfügung gestellt: aXPCS Daten unter der DOI: 10.6084/m9.figshare.12651458.v1 und IS Daten unter der DOI: 10.6084/m9.figshare.12651560. Die kompletten Ergebnisse der Impedanzmessungen finden sich in der Masterarbeit von  T. M. Fritz.

[1] F. Berkemeier, S. Voss, Á.W. Imre, and H. Mehrer, J. Non-Cryst. Solids 351, 3816 (2005)

[2] S. V. Stolyar, L. V. Grishchenko, and G. A. Sycheva, Glass Phys. Chem. 32, 293 (2006)